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Urteil Verwaltungsgericht (SG - B 2005/43)

Zusammenfassung des Urteils B 2005/43: Verwaltungsgericht

Die Tempo-30-Zone im Gebiet Kesselhalden in St. Gallen wurde aufgehoben, da keine der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Geschwindigkeitsbeschränkung gemäss Art. 108 Abs. 2 SSV erfüllt war. Das Verwaltungsgericht entschied, dass die Anordnung der Tempo-30-Zone keine ausreichende gesetzliche Grundlage hatte und hob den Beschluss des Stadtrates auf. Die Beschwerde wurde von den Beschwerdeführern eingereicht und erfolgreich durchgesetzt. Die Gerichtskosten in Höhe von CHF 2'000 wurden der Beschwerdegegnerin auferlegt, und der Kostenvorschuss wurde den Beschwerdeführern zurückerstattet.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts B 2005/43

Kanton:SG
Fallnummer:B 2005/43
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid B 2005/43 vom 06.12.2005 (SG)
Datum:06.12.2005
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Urteilallgemeine Höchstgeschwindigkeit kann nur herabgesetzt werden, wenn die
Schlagwörter: Verkehr; Verkehrs; Tempo-; Strasse; Geschwindigkeit; Bundes; Strassen; -Zone; Zonen; Höchstgeschwindigkeit; Gutachten; Anordnung; Voraussetzung; Massnahme; Voraussetzungen; Geschwindigkeitsbeschränkung; Stadt; Stadtrat; Bundesrat; Gallen; Entscheid; Schutz; Quot; Kesselhalden; Verkehrsanordnung; -Zonen; Geschwindigkeitsbeschränkungen; Gebiet; Verwaltungsgericht
Rechtsnorm: Art. 3 SVG ;Art. 32 SVG ;
Referenz BGE:122 II 101;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts B 2005/43

in Art. 108 Abs. 2 SSV aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, also aufgrund eines Gutachtens eine Gefahr nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist, wenn bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen, wenn auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann wenn dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann. Keines dieser Erfordernisse war gemäss Gutachten bei der Tempo-30-Zone im Gebiet Kesselhalden in St. Gallen gegeben, weshalb die Tempo-30-Zone aufgehoben wurde (Verwaltungsgericht, B 2005/43).

Strassenverkehr, Geschwindigkeitsbeschränkung, Tempo-30-Zone (Art. 3 Abs. 4 und Art. 32 Abs. 3 SVG, SR 741.01; Art. 108 SSV, SR 741.11). Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit kann nur herabgesetzt werden, wenn die in Art. 108 Abs. 2 SSV aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind, also aufgrund eines Gutachtens eine Gefahr nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist, wenn bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen, wenn auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann wenn dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann. Keines dieser Erfordernisse war gemäss Gutachten bei der Tempo-30-Zone im Gebiet

Kesselhalden in St. Gallen gegeben, weshalb die Tempo-30-Zone aufgehoben wurde (Verwaltungsgericht, B 2005/43).

Urteil vom 6. Dezember 2005

Anwesend: Präsident Prof. Dr. U. Cavelti; Verwaltungsrichter Dr. E. Oesch-Frischkopf, lic. iur. A. Linder, Dr. B. Heer, lic. iur. A. Rufener; Gerichtsschreiber lic. iur. Th. Vögeli

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In Sachen

X. und weitere, Beschwerdeführer, gegen

Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,

Vorinstanz, und

Politische Gemeinde St. Gallen, vertreten durch den Stadtrat, Rathaus, 9001 St. Gallen, Beschwerdegegnerin,

betreffend

Verkehrsanordnung im Gebiet Kesselhalden/Guggeien hat das Verwaltungsgericht festgestellt:

  1. ./ Mit Beschluss vom 7. September 2004 erliess der Stadtrat St. Gallen eine Verkehrsanordnung für das Gebiet Kesselhalden/Guggeien. Er beschloss für das Teilgebiet Kesselhalden, begrenzt durch die Kesselhalden- und Lukasstras-se sowie die Bebauung nördlich der Hüttenwies- und Quellenstrasse eine Zonensignalisation mit der Höchstgeschwindigkeit 30 km/h. Dieselbe Anordnung verfügte er für das Teilgebiet Guggeien, begrenzt durch die Höchsterstrasse sowie die Bebauung nördlich von Guggeien- und Kesselhaldenhof.

  2. ./ Gegen die Verkehrsanordnung im Teilgebiet Kesselhalden erhoben X. und weitere Anwohner Rekurs beim Justiz- und Polizeidepartement und beantragten, von der Signalisation einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h im Gebiet Hüttenwies- und Quellenstrasse sei abzusehen, allenfalls seien zur Abklärung von vermuteten Unkorrektheiten bei der Umfrage die Fragebögen des Quartiervereins zu überprüfen. Zur Begründung wurde im wesentlichen geltend gemacht, die Vorsteherin der Bauverwaltung habe in einer Stellungnahme zu einer Eingabe eines Rekurrenten auf einen Stadtratsbeschluss hingewiesen, wonach Tempo-30-Zonen nur aufgrund von schriftlichen Anträgen der betreffenden Quartier- und Anwohnervereine sowie einer positiv verlaufenen Umfrage eingeführt würden. Die Umfrage des Quartiervereins im fraglichen Gebiet sei nicht korrekt durchgeführt worden. Ausserdem sei eine

    Tempo-30-Zone nicht notwendig.

    Das Justiz- und Polizeidepartement wies den Rekurs mit Entscheid vom 23. Februar 2005 ab, soweit es darauf eintrat. Es erwog, weder das Bundesrecht noch das kantonale Recht würden eine Umfrage als Voraussetzung für den Erlass einer Verkehrsanordnung vorschreiben. Eine Quartierumfrage habe rein konsultativen und informellen Charakter. Es bestehe kein Rechtsanspruch auf vorgängige Anhörung mit der Folge, dass bei deren Unterlassung eine Zonensignalisation rechtswidrig wäre. Die gegen die Modalitäten der Umfrage vorgebrachten Einwände seien daher unbeachtlich. Im übrigen seien die Voraussetzungen für eine Zonensignalisation bzw. eine

    Tempo-30-Zone gegeben. Die Massnahme liege im öffentlichen Interesse und beruhe

    auf einer gesetzlichen Grundlage. Ausserdem erweise sie sich als geeignet und erforderlich für die Verbesserung der Verkehrssicherheit und die Erhöhung der Wohnqualität, weshalb das Verhältnismässigkeitsprinzip eingehalten sei.

  3. ./ Mit Eingabe vom 8. März 2005 erhoben X. und ... Beschwerde beim Verwaltungsgericht. Die Beschwerdeführer halten am Rekursantrag fest und stellen das Begehren, es sei von der beabsichtigten Signalisation der Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h im Gebiet Hüttenwies- und Quellenstrasse abzusehen. Die zur Begründung vorgebrachten Ausführungen werden, soweit wesentlich, in den nachstehenden Erwägungen dargelegt und gewürdigt.

    Das Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung vom 22. März 2005 unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde.

    Der Stadtrat St. Gallen schliesst in seiner Vernehmlassung vom 12. April 2005 ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde und verweist auf seine Ausführungen in der Rekursvernehmlassung.

    Darüber wird in Erwägung gezogen:

    1. ./ Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts ist gegeben (Art. 59bis Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege, sGS 951.1, abgekürzt VRP). Die Beschwerdeführer sind als unterlegene Rekurrenten zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 VRP). Die Beschwerdeeingabe vom 8. März 2005 entspricht zeitlich, formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 und 48 Abs. 1 VRP). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

    2. ./ Die gesetzlichen Grundlagen für die vorliegend streitige Anordnung befinden sich in Art. 3 und 32 des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr (SR 741.01, abgekürzt SVG). Art. 3 SVG regelt gemäss Randtitel die Befugnisse der Kantone und Gemeinden im Bereich des Strassenverkehrs. Diese Befugnisse bilden Ausnahmen vom Grundsatz, wonach die Regelung des Strassenverkehrs Sache des Bundes ist (Art. 82 Abs. 1 der Bundesverfassung, SR 101).

      1. Nach Art. 3 Abs. 2 SVG sind die Kantone befugt, für bestimmte Strassen Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs zu erlassen. Sie können diese Befugnis den Gemeinden übertragen unter Vorbehalt der Beschwerde an eine kantonale Behörde.

        Nach Art. 3 Abs. 3 SVG kann der Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr auf Strassen, die nicht dem allgemeinen Durchgangsverkehr geöffnet sind, vollständig untersagt zeitlich beschränkt werden; Fahrten im Dienste des Bundes bleiben jedoch gestattet. Vorbehalten ist die Beschwerde an das Bundesgericht wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger.

        Andere Verkehrsbeschränkungen Anordnungen zur Regelung des Verkehrs können erlassen werden, soweit der Schutz der Bewohner gleichermassen Betroffener vor Lärm und Luftverschmutzung, die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen, die Sicherheit, die Erleichterung die Regelung des Verkehrs, der Schutz der Strasse andere in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe dies erfordern. Aus solchen Gründen können insbesondere in Wohnquartieren der Verkehr beschränkt und das Parkieren besonders geregelt werden (Art. 3 Abs. 4 SVG).

        Abs. 3 regelt die sog. Totalfahrverbote, während die Anordnungen nach Abs. 4 als funktionelle Verkehrsanordnungen bzw. -beschränkungen bezeichnet werden (vgl. BBl 1999, S. 4481; R. Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, 2. Aufl., Bern 2002, Rz. 35 ff.).

      2. Für Geschwindigkeitsbeschränkungen gelten aus-serdem die besonderen Bestimmungen in Art. 32 SVG.

        Gemäss Art. 32 Abs. 2 SVG beschränkt der Bundesrat die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen. Nach Art. 32 Abs. 3 SVG kann die vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeit für bestimmte Strassenstrecken von der zuständigen Behörde nur aufgrund eines Gutachtens herab- heraufgesetzt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen.

      3. Der Bundesrat hat von der ausdrücklichen Kompetenz zum Erlass näherer Bestimmungen in Art. 108 der Signalisationsverordnung (SR 741.11, abgekürzt SSV) Gebrauch gemacht. Dies erfolgte im Bestreben, dass abweichende Geschwindigkeiten im schweizerischen Verkehrsraum nach einheitlichen Kriterien erfolgen sollten (Schaffhauser, a.a.O., Rz. 61).

        Die Gründe, aus denen eine Herabsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit erfolgen kann bzw. die Zwecke, die damit verfolgt werden, sind zunächst in Art. 108 Abs. 1 SSV in allgemeiner Weise und anschliessend in Art. 108 Abs. 2 SSV detailliert und abschliessend enumeriert (Schaffhauser, a.a.O., Rz. 62).

      4. Zur Vermeidung Verminderung besonderer Gefahren im Strassenverkehr, zur Reduktion einer übermässigen Umweltbelastung zur Verbesserung des Verkehrsablaufs kann die Behörde das Bundesamt für bestimmte Strassenstrecken Abweichungen von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten anordnen (Art. 108 Abs. 1 SSV).

        Die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten können nach Art. 108 Abs. 2 SSV herabgesetzt werden, wenn eine Gefahr nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar und anders nicht zu beheben ist (lit. a), bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen (lit. b), auf Strecken mit grosser Verkehrsbelastung der Verkehrsablauf verbessert werden kann (lit. c), dadurch eine im Sinne der Umweltschutzgesetzgebung übermässige Umweltbelastung (Lärm, Schadstoffe) vermindert werden kann, wobei der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren ist (lit. d). Die Anordnung tieferer als der vom Bundesrat festgelegten Höchstgeschwindigkeiten ist nur zulässig, wenn sie aus einem der in Art. 108 Abs. 2 SSV aufgezählten Gründe erforderlich ist (vgl. Schaffhauser, a.a.O., Rz. 64).

        Vor der Festlegung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten wird durch ein Gutachten abgeklärt, ob die Massnahme nötig sowie zweckmässig und verhältnismässig ist ob andere Massnahmen vorzuziehen sind. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die Massnahme auf die Hauptverkehrszeiten beschränkt werden kann (Art. 108 Abs. 4 SSV).

        Art. 108 Abs. 5 SSV regelt die abweichenden Höchstgeschwindigkeiten auf den verschiedenen Strassenkategorien; u.a. ist als abweichende Höchstgeschwindigkeit innerorts mit Zonensignalisationen 30 km/h nach Art. 22a SSV und 20 km/h nach Art. 22b SSV zulässig (Art. 108 Abs. 5 lit. e SSV).

        Diese Höchstgeschwindigkeit ist besonders zu signalisieren: das Signal «Tempo-30- Zone» (2.59.1) kennzeichnet nach Art. 22a SSV Strassen in Quartieren Siedlungsbereichen, auf denen besonders vorsichtig und rücksichtsvoll gefahren werden muss. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 30 km/h.

      5. Die Vorinstanz ging davon aus, der Stadtrat habe die Erhöhung der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer, insbesondere der Kinder und Jugendlichen, sowie die Verbesserung der Wohnqualität durch einen flüssigen und immissionsärmeren Verkehrsablauf auf tieferem Geschwindigkeitsniveau bezweckt. Zu prüfen ist, inwiefern diese Zwecksetzung im Einklang mit den Vorschriften des SVG und der Ausführungsverordnungen steht bzw. durch Art. 3 Abs. 4 SVG und Art. 108 Abs. 1 SSV gedeckt ist, wie die Vorinstanz annahm, wobei aufgrund der vorstehenden Ausführungen die in Art. 108 Abs. 2 SSV erwähnten Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

        aa) Dass eine besondere Gefahr besteht, die nur schwer nicht rechtzeitig erkennbar und nicht anders zu beheben ist, wird weder vom Stadtrat noch von der Vorinstanz angenommen. Im Gutachten wird festgehalten, die Unfallstatistik weise im Zonengebiet für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 15. Juli 2002 zwei Verkehrsunfälle auf, wobei eine Person verletzt worden sei. In Bezug auf Unfallursache und -folge wird auf Beilage 4 verwiesen. Dort sind allerdings gar keine Unfälle aufgeführt. Wie es sich damit genau verhält, kann aber offen bleiben, da im Gutachten festgehalten wird, aufgrund der Unfälle könnten keine Rückschlüsse auf vorhandene Anlagenmängel Unfallschwerpunkte gezogen werden.

        Im weiteren nehmen Stadtrat und Vorinstanz auch nicht an, dass eine übermässige Umweltbelastung im Sinne von Art. 108 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d SSV vorliegt. Im Gutachten ist vielmehr festgehalten, die Immissionsgrenzwerte der

        Lärmschutzverordnung würden innerhalb der Zone nicht überschritten; die Wohn- und Lebensqualität könne als sehr gut eingestuft werden.

        Als weiteren Zweck sieht Art. 108 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c SSV vor, dass auf Strecken mit grossem Verkehrsaufkommen der Verkehrsablauf verbessert werden kann. Auch diese Zwecksetzung fällt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Gemäss Gutachten beträgt der durchschnittliche tägliche Verkehr (DTV) an der Hüttenwiesstrasse (Haus Nr. 44) 340 Fahrzeuge, und als maximaler Tagesverkehr wurden an einem Freitag 397 Fahrzeuge gemessen. Das Gutachten hält fest, die Verkehrsbelastungen sämtlicher Messquerschnitte wiesen die Merkmale von Erschliessungsstrassen auf. Für die Hüttenwies- und die Quellenstrasse wurde die Verkehrsbelastung ausdrücklich als gering qualifiziert.

        Schliesslich sieht Art. 108 Abs. 2 lit. b SSV als weitere Zwecksetzung vor, dass bestimmte Strassenbenützer eines besonderen, nicht anders zu erreichenden Schutzes bedürfen. Im Gutachten finden sich keine Anhaltspunkte, dass im Bereich Hüttenwies- und Quellenstrasse gewisse Strassenbenützer eines besonderen Schutzes bedürfen. Auch diese Zwecksetzung fällt daher ausser Betracht.

        bb) Im Gutachten werden als Ziele der Massnahme die Verbesserung der Wohnqualität mit einem flüssigen und immissionsärmeren Verkehrsablauf auf tieferem Geschwindigkeitsniveau einerseits und die Erhöhung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer anderseits genannt.

        Zu prüfen ist, ob sich die Verbesserung der Wohnqualität und die Erhöhung der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer unter Art. 108 Abs. 1 und 2 SSV subsumieren lassen. Die Vorinstanz ging davon aus, die Zielsetzungen der Massnahme seien durch Art. 108 Abs. 1 SSV gedeckt.

        Weder die Verbesserung der Wohnqualität noch die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer lassen sich in dieser allgemeinen Form als Zwecksetzungen für eine Geschwindigkeitsreduktion unter Art. 108 Abs. 1 und 2 SSV subsumieren. Wie erwähnt, besteht weder eine übermässige Umweltbelastung noch eine besondere Gefährdung,

        weshalb die Voraussetzungen für die Anordnung von Massnahmen gemäss Art. 108 Abs. 1 und Abs. 2 SSV nicht gegeben sind.

      6. Es fragt sich weiter, ob Art. 108 Abs. 1 SSV einen gegenüber Abs. 2 weitergehenden Anwendungsbereich aufweist. Der Umstand, dass Abs. 2 keine exemplarische Aufzählung enthält, ergibt sich aus dem Fehlen des Begriffs "namentlich" "insbesondere". Dies zeigt, dass Abs. 2 eine abschliessende Konkretisierung von Abs. 1 zum Gegenstand hat. Im Schrifttum wird denn auch ausdrücklich festgehalten, dass die Gründe für eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit in Art. 108 Abs. 2 SSV detailliert und abschlies-send aufgezählt sind (Schaffhauser, a.a.O., Rz. 62).

      7. Zu prüfen bleibt, ob im übrigen Verordnungsrecht eine besondere Grundlage für Tempo-30-Zonen besteht.

        Art. 22a und 22b SSV regeln die Art der Signalisation und weitere Einzelheiten, nicht aber die Voraussetzungen für die Einführung einer Tempo-30- einer Begegnungszone.

        Das UVEK erliess am 28. September 2001 eine Verordnung über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen (SR 741.213.3). Diese regelt die Einzelheiten bei der Anordnung von Tempo-30-Zonen (Art. 22a SSV) und Begegnungszonen (Art. 22b SSV) und umschreibt insbesondere den Inhalt des Gutachtens nach Art. 32 Abs. 3 SVG bzw. Art. 108 Abs. 4 SSV. Die Voraussetzungen für die Anordnung solcher Zonen werden jedoch in dieser Verordnung auch nicht umschrieben.

      8. Die Vorinstanz hielt weiter fest, der Stadtrat folge mit der Einführung von Tempo-30- Zonen in Wohngebieten den verbindlichen Vorgaben des kantonalen Massnahmenplans Luftreinhaltung von 1990/1997 und setze das Tieftempo-Konzept bzw. die etappenweise Einführung von Tempo-30-Zonen gemäss Stadtratsbeschluss vom 1. März 1994 um. Diese umweltrechtlichen Erlasse bzw. Entscheide genügen indes als Grundlage für die Reduktion von Höchstgeschwindigkeiten nicht; das Verfahren richtet sich gemäss den Bestimmungen der Strassenverkehrsgesetzgebung (vgl. BGE 122 II 101).

      9. Zu prüfen bleibt, ob anderweitig eine hinreichende gesetzliche Grundlage für Tempo-30-Zonen besteht.

        In einem Entscheid vom 19. November 1997 erkannte der Bundesrat im Zusammenhang mit der Einführung einer Tempo-30-Zone, welche mit der Erhöhung der Verkehrssicherheit und der Reduktion von schädlichen Auswirkungen ("nuisances") begründet wurde, solche Ziele seien "tout à fait conformes" mit Art. 3 Abs. 4 SVG, welches die passende gesetzliche Grundlage sei (VPB 1998, 62.26).

        aa) Ob die gesetzliche Regelung in Art. 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 SVG, wonach zum Schutz der Bewohner vor Lärm und Luftverschmutzung sowie aus anderen in den örtlichen Verhältnissen liegenden Gründen in Wohnquartieren der Verkehr beschränkt werden kann, unabhängig von Art. 108 Abs. 1 und 2 SSV eine genügende gesetzliche Grundlage für eine Tempo-30-Zone ist, wird im Schrifttum unterschiedlich behandelt. Es wird ausgeführt, nach Art. 3 Abs. 4 SVG seien funktionelle Beschränkungen zulässig, wenn sie einem der vier im Gesetz erwähnten Ziele dienen, wobei aus Gründen des Umweltschutzes insbesondere in Wohnquartieren der Verkehr beschränkt und das Parkieren besonders geregelt werden dürften (T. Jaag, Verkehrsberuhigung im Rechtsstaat, in: ZBl 87/1986, S. 294). Allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkungen auf einzelnen Strassen werden hingegen nur unter den in Art. 108 Abs. 2 SSV statuierten Voraussetzungen als zulässig erachtet (vgl. R. Meier, Verkehrsberuhigungsmassnahmen nach dem Recht des Bundes und des Kantons Zürich, Diss. Zürich 1989, S. 93). Schaffhauser hält fest, aufgrund des Schutzes der Bewohner und gleichermassen Betroffener vor Lärm und Luftverschmutzung seien die Ziele der Umweltschutzgesetzgebung explizit in den Kreis der Beschränkungsmotive aufgenommen worden. Auch aufgrund des Motives "anderer in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe" seien bereits vereinzelt Ziele des Umweltschutzes verfolgt worden. Bezüglich des Fahrverkehrs bestünden solche Schutzmassnahmen vorab in einer Umlagerung des Verkehrs von Wohnquartieren auf Hauptverkehrsachsen. Dazu stehe unter anderem das Instrument der besonderen Zone zur Verfügung, wobei ein Verweis auf die Zonen gemäss Art. 22a bis 22c SSV folgt (Schaffhauser, a.a.O., Rz. 47 f.). In den spezifischen Ausführungen zu den Geschwindigkeitsbeschränkungen (Rz. 60 bis 67) fehlen Ausführungen zu den besagten Zonen; es wird lediglich ein Verweis im Zusammenhang mit dem Bestreben

        nach möglichst einheitlichen Kriterien für abweichende Geschwindigkeiten gemacht (Fn 107).

        Eine klare Aeusserung zur Frage, ob Tempo-30-Zonen Geschwindigkeitsreduktionen sind, welche nur bei Erfüllung einer mehrerer der in Art. 108 Abs. 2 lit. a bis d SSV abschliessend aufgezählten Voraussetzungen angeordnet werden dürfen, ob es sich um funktionale Verkehrsanordnungen im weiteren Sinne handelt, die unmittelbar gestützt auf Art. 3 Abs. 4 SVG angeordnet werden dürfen, wird weder vom einen noch vom anderen Autor gemacht. Der Bundesrat hielt in seinem Entscheid vom 19. November 1997 (VPB 62.26) zwar fest, die Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Reduktion von schädlichen Einwirkungen stünden im Einklang mit Art. 3 Abs. 4 SVG. Er machte indessen keine expliziten Aeusserungen, ob Geschwindigkeitsbeschränkungen ungeachtet der Bestimmungen von Art. 108 Abs. 1 und 2 SSV zulässig sind.

        bb) Somit bleibt zu prüfen, ob die Tempo-30-Zone eine Anordnung im weiteren Sinne ist, welche unmittelbar gestützt auf Art. 3 Abs. 4 SVG angeordnet werden kann, ob es sich um eine Form einer Geschwindigkeitsbeschränkung handelt, bei der die Voraussetzungen nach Art. 32 Abs. 3 SVG und Art. 108 Abs. 1 und Abs. 2 SSV erfüllt sein müssen.

        Der Umstand, dass die Zonensignalisationen in Art. 108 Abs. 5 und 6 SSV ausdrücklich erwähnt sind, spricht für ihre Natur als Geschwindigkeitsbeschränkungen. Wenn diese Zonen in derjenigen Verordnungsbestimmung aufgeführt sind, welche ausschliesslich die Voraussetzungen und das Verfahren für die Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen regelt, so lässt dies darauf schliessen, dass sie ebenfalls als Geschwindigkeitsbeschränkungen zu betrachten sind und nicht als funktionelle Verkehrsanordnungen im weiteren Sinn. Zum selben Schluss führt der Umstand, dass in der einschlägigen Verordnung des UVEK vom 28. September 2001 über die Tempo-30-Zonen und die Begegnungszonen (SR 741.213.3) die Voraussetzungen für deren Anordnung nicht umschrieben sind. Hinzu kommt, dass die Tempo-30-Zone im Bereich der Hüttenwies- und der Quellenstrasse nicht mit weiteren Verkehrsanordnungen verbunden ist, sondern die Massnahme abschliessend und ausschliesslich eine Geschwindigkeitsreduktion zum Gegenstand hat.

        Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, den der Bundesrat in seinem Entscheid vom 19. November 1997 zu beurteilen hatte. Jene Tempo-30-Zone bestand nicht ausschliesslich aus einer Geschwindigkeitsbeschränkung, sondern umfasste zusätzlich Vorschriften für das Parkieren und besondere Vorschriften für den Verkehr mit Fahrrädern und Motorfahrrädern. Die vorliegend streitige Massnahme erschöpft sich demgegenüber im Gebiet Kesselhalden in einer Geschwindigkeitsreduktion auf der Hüttenwies- und der Quellenstrasse. Dies qualifiziert die streitige Massnahme als Geschwindigkeitsbeschränkung, welche nur unter den in Art. 108 Abs. 1 und 2 SSV aufgestellen Rahmenbedingungen zulässig ist.

        Der Bundesrat hielt in seinem Entscheid vom 19. November 1997 übrigens fest, die Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 4 SSV müssten erfüllt sein. Im konkreten Fall genügte das Gutachten den Anforderungen nicht, weshalb die Angelegenheit an die kantonale Behörde zurückgewiesen wurde. Der Bundesrat hielt aber ausdrücklich fest, dass tiefere Geschwindigkeitslimiten, welche nicht respektiert würden, gefährliche Auswirkungen haben könnten, insbesondere für die schwächsten Verkehrsteilnehmer wie Fussgänger, Betagte und Kinder. Dies deutet darauf hin, dass mit jener Tempo-30- Zone eine Zwecksetzung gemäss Art. 108 Abs. 2 lit. b SSV verfolgt wurde und der Bundesrat nicht davon ausgegangen ist, Geschwindigkeitsbeschränkungen könnten auch ausserhalb der in seiner Verordnung abgesteckten Rahmenbedingungen angeordnet werden. Im übrigen werden lokale Geschwindigkeitsbeschränkungen ohne flankierende bauliche und gestalterische Massnahmen an der Strassenanlage als Mittel zur Verkehrsberuhigung nicht als sinnvoll, sondern als nutzlos und wegen ihrer praktischen Undurchsetzbarkeit als schädlich für die Verkehrsdisziplin und die Verkehrssicherheit erachtet. (vgl. das Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 7. April 2005, in: ZBl 106/2005, S. 595).

        cc) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Stadt St. Gallen Tempo-30-Zonen nur anordnet, wenn die betroffenen Quartierbewohner einen schriftlichen Antrag stellen und sich mehrheitlich positiv dazu aussprechen. Eine hoheitliche Anordnung muss aber auch dann, wenn sie grundsätzlich im Ermessen der Behörde steht, die Kriterien der Notwendigkeit, der Geeignetheit und der Verhältnismässigkeit erfüllen. Steht und fällt die Anordnung einer Massnahme aber mit der mehrheitlichen Zustimmung der Quartierbevölkerung, so wird damit ein zusätzliches Kriterium geschaffen, welches

        einem hoheitlichen Eingriff wesensfremd ist. Kann ohne Nachteile auf eine beabsichtigte Massnahme verzichtet werden, wenn die Betroffenen mehrheitlich nicht damit einverstanden sind, so fehlt es an der Notwendigkeit. Sind hoheitliche Eingriffe aber nicht notwendig, haben sie in einem Rechtsstaat zu unterbleiben.

      10. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die streitige Verkehrsanordnung keine hinreichende gesetzliche Grundlage hat. Folglich ist die Beschwerde gutzuheissen, und der angefochtene Rekursentscheid sowie der Beschluss des Stadtrates sind aufzuheben.

    3. ./ Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 95 Abs. 1 VRP). Eine Entscheidgebühr von Fr. 2'000.-- ist angemessen (Ziff. 382 Gerichtskostentarif, sGS 941.12). Auf die Erhebung ist zu verzichten (Art. 95 Abs. 3 VRP). Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 2'000.-- ist den Beschwerdeführern zurückzuerstatten.

Ausseramtliche Kosten sind nicht zu entschädigen (Art. 98ter VRP in Verbindung mit Art. 263 Abs. 3 des Zivilprozessgesetzes, sGS 961.2).

Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt:

  1. ./ Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der angefochtene Rekursentscheid sowie der Beschluss des Stadtrates werden aufgehoben.

  2. ./ Die amtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt; auf ihre Erhebung wird verzichtet. Den Beschwerdeführern wird der Kostenvorschuss von Fr. 2'000.-- zurückerstattet.

  3. ./ Ausseramtliche Kosten werden nicht entschädigt.

V. R. W.

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Zustellung dieses Entscheides an:

  • die Beschwerdeführer (durch X., 9016 St. Gallen)

  • die Vorinstanz

  • die Beschwerdegegnerin

  • das Bundesamt für Strassen, 3003 Bern

am: Rechtmittelbelehrung:

Soweit eine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht wird, kann gegen diesen Entscheid innert dreissig Tagen seit der Eröffnung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, eingereicht werden.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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